Bücher

30
Mai
2012

Bücherliste 2012 // IX

Gustave Flaubert (Maria Dessauer), »Lehrjahre des Gefühls. Geschichte eines jungen Mannes«, Insel Verlag
Wasndas? Mon dieu, was für ein seltsamer Schreibstil. Abgehackt und sprunghaft erzählt er von Gefühlen und Wünschen, die mir völlig fremd sind. Dazu kommen unmotivierte Zeitenwechsel (Präsens bei Landschaftsbeschreibungen) und immer wieder wechselnde Gewichtungen: Man weiß nicht so genau, ist es eine Geschichte des Erwachsenwerdens oder sollen doch die politischen Umwälzungen Mitte des 19. Jahrhunderts im Zentrum stehen? Wie beides zusammenspielt wird jedenfalls nicht klar. Die vielen Fußnoten, die die extrem zeitgebundenen Anspielungen erklären, langweilen auch eher, als sie dem Roman gut tun. Wenn man aber dran bleibt, entwickelt das trotzdem einen gewissen Sog. Schließlich will man einfach nur wissen, welche Frau er denn jetzt wirklich nimmt.

Alles in allem eine versunkene Welt, die nur aus falschen Gefühlen besteht. Das wird besonders klar in der kurzen Passage, die Frédéric mit Rosanette auf dem Lande verbringt. Die beiden erleben ein ungestörtes Glück und eine zarte Liebe, die Frédéric aus Herzenskälte und Egoismus zerstört. Trotzdem wird er eher als Narr geschildert, dem am Ende der Freund bestätigt, er habe »zu viel Gefühl« gehabt, um in der Liebe glücklich zu werden. Da bleibe ich lieber bei meinen Engländerinnen.

Wie kam ich dazu?
Wühlkiste. Klassiker. Sollte man gelesen haben. Ist jetzt erledigt.

22
Mai
2012

Bücherliste 2012 // VIII

Jane Austen (Angelika Beck), »Emma«, Insel Verlag
Ach, die kleinen Engländerinnen! Zwar erkennt die Leserin schon ganz am Anfang kilometerweit gegen den Wind, dass die quirlige Emma am Ende ihren knurrigen Nachbarn Mr. Knightley abkriegen wird, aber der Weg dorthin ist halt einfach zu reizvoll. Es wird geredet, geredet, geredet, und Emma ist gerade in ihrer emanzipierten Eigensinnigkeit einfach ein hinreißendes Stück. Alle Charaktere sind liebevoll gesehen und mit gerade so viel Übertreibung gezeichnet, dass man Spaß daran hat, ohne es als Satire abtun zu können. Und gleichzeitig taucht man ein in eine Welt der Höflichkeit, Zurückhaltung und strengen Regeln, die von den Menschen unhinterfragt respektiert wird, unter der sie allerdings manchmal auch leiden (Die Langeweile! Die Ungewissheit!) und deren Grenzen sie immer wieder neu ausloten.

Ein paarmal nur bin ich über die Übersetzung gestolpert. Ein Beispiel: Ist das Wort »lecker« tatsächlich der Stilebene zuzurechnen, auf der im Original gesprochen wird? Dass »Referenz« steht, wo »Reverenz« gemeint ist, kann allerdings auch ein Satzfehler sein, so wie der unmotivierte Zeilenwechsel mitten in einem Absatz und andere typografische Pannen. Doch ich will nicht meckern, denn ...

Wie kam ich dazu?
... ich habe das Buch aus einer Wühlkiste gezogen und keine sechs Euro dafür ausgegeben. Fair enough.

6
Mai
2012

Bücherliste 2012 // VII

Otto Basil, »Wenn das der Führer wüsste«, Milena Verlag
Neuausgabe einer SciFi-Satire aus den 60er-Jahren: Hitler hat den Zweiten Weltkrieg gewonnen und weite Teile der Welt unter seine Herrschaft gebracht. Protagonist ist der Pendler und Rutengeher Höllriegl, der mit einem undurchsichtigen Auftrag nach Berlin beordert wird und dann mitten hinein gerät ins Chaos nach Hitlers Tod und der darauffolgenden Machtkämpfe. Schließlich bricht der thermonukleare Weltkrieg aus, und Höllriegl versucht immer sinnloser, sich irgendwie durchzuschlagen und dabei gleichzeitig mit dem Ende seiner Welt klarzukommen.

Ein sehr geiles Buch, man muss es einfach so sagen. Zum einen ist da die unverwechselbare Nazi-Sprache, ihr Bürokratiewahn, ihr albernes ideologisches Vokabular. Dann das dazugehörige Innenleben der Menschen, das von brutaler Rohheit und Gefühllosigkeit geprägt ist, bei gleichzeitig enormer Kitschanfälligkeit – das betrifft vor allem Höllriegl, der noch vom Edlen und Reinen träumt und dafür von einer Exponentin der neuen Ordnung nach Hitler ordentlich verarscht wird. Verschwitzte sexuelle Bedürfnisse, die ihr ganzes Begehren aus Macht und Unterwerfung generieren. Basil kannte und verstand das alles, und er hat es so hingemalt, dass der Vergleich mit Tarantino, den der Verlag auf dem Umschlag anstellt, fast schon zu kurz greift. Aber es ist natürlich tatsächlich auch eine ganz wilde Action-Farce.

Manchmal fallen die einzelnen Episoden ein wenig auseinander, manchmal sind die langen Variationen des Lächerlichen ein wenig zu lang (wenn Höllriegl durch die Radioprogramme zappt zum Beispiel, oder wenn alle Vereine und Abordnungen genannt werden, die zu Hitlers Begräbnis aufmarschieren), aber alles in allem war das ein unvergleichliches und ganz und gar einzigartiges Leseerlebnis.

Wie kam ich dazu?
Das Buch war ein Geschenk von V., der Verlegerin.

25
Apr
2012

Bücherliste 2012 // VI

Anna Katharina Hahn, »Am Schwarzen Berg«, Suhrkamp Verlag
Oh ja, so sind sie, die Stuttgarter. Das selbstmitleidige und orientierungslose akademische Milieu, aus dem sich die Bahnhofsgegner_innen und »Wutbürger_innen« rekrutieren, ist verteufelt gut getroffen. Auch die unerklärliche schlechte Laune und unverschämte Patzigkeit bestimmter Frauen ist, so leid es mir als Feministin tut, ganz nach der Natur gemalt. Das wäre alles uninteressant, wenn nicht die ausgebüchste Ehefrau des von zwei Paaren umworbenen und aufgezogenen Peter mit ihren Aufstiegsambitionen das ganze System ins Rutschen gebracht hätte. Ihren Argumenten für Bildung, Leistung und Einsatz im Interesse ihrer und Peters gemeinsamer Kinder kann man nur zustimmen, sie offenbaren die Jämmerlichkeit der ganzen saturierten Weltsicht.

Wie kam ich dazu?
Weiß nicht mehr so genau, wahrscheinlich über eine Rezension im Zuge der Nominierung zum Leipziger Buchpreis. Und ein Buch über Stuttgart musste ich einfach kaufen.

Jonathan Franzen, »Die Korrekturen«, Rowohlt Verlag
Spät, aber doch hab ich's jetzt auch gelesen. Es passte grad gut zu meiner Lebenssituation, mit all dem Familiengedöns und den Fragen zur Lebensplanung.
Großer Sog, manchmal ein bisschen viele Details zu Haupt-, Neben- und Nebennebensträngen, manchmal unerklärliche Fremdwörter eingestreut, manchmal drang der Spaß am Geschichtenerfinden einfach zu stark durch. Aber das ist natürlich ein großes Buch. Als der pflegebedürftige Al seinen Sohn Chip kurz vor Schluss bittet, ihm beim Selbstmord zu helfen, musste ich ein paar Tränen zerdrücken (so weich und angerührt bin ich zur Zeit). Vielleicht war es auch so intensiv, weil H. ebenfalls aus einer Familie mit drei Kindern und einem sterbenskranken Vater kommt. Ich habe ihm jedenfalls gesagt, er solle das Buch lieber nicht lesen.

Wie kam ich dazu?
Stand in unserem Bücherregal. H. hat es vor Jahren gekauft, aber nie gelesen.

3
Apr
2012

Bücherliste 2012 // V

Wolfgang Herrndorf, »Sand«, Rowohlt Verlag 2011
Ausgezeichnet mit dem Preis der Leipziger Buchmesse, und zwar, wie ich finde, mehr als verdient. Ich halte mich ja sonst von Krimis, Thrillern und anderem Zeug fern, das mich unnötig aufregt, aber weil Herrndorfs Blog so großartig ist, und wenn er schon mal den Preis gekriegt hat ... Also: Enorm spannend, moralisch irritierend (der hilflose Protagonist, mit dem man mitfühlt, ist »eigentlich« ein Böser), mit cooler Frauenfigur und viel guilty pleasure, wenn Araber wie Europäer als Vollhonks dargestellt werden. Zum Mitdenken, Absaufen, Lachen und Erschrecken. Ganz großes Tennis.

Wie kam ich dazu?
Wie gesagt: Buchmesse, Blog und begeisterte Besprechungen

Pia Ziefle, »Suna«, Ullstein Verlag 2012
Ganz was anderes ist dieser Roman. Die Ich-Erzählerin berichtet ihrer Babytochter in mehreren Nächten die jugoslawisch-türkisch-deutsche Familiengeschichte, ihre eigenen Probleme als Adoptionskind und die Liebesgeschichte mit ihrem Mann inklusive anschließender Familiengründung plus totaler Verhäuslichung.

Besonders mit dem letzten Aspekt hatte ich große Schwierigkeiten. Die Protagonistin war Bühnenautorin in Berlin, und plötzlich zieht sie sich mit Begeisterung aufs Land zurück, zieht Gemüse und ihre Kinder groß. Und keine Ironie, nirgends! Ächz! Sehr kitschig inszeniert auch das Wiederfinden ihres später zu ehelichenden Mannes, der of course Jugendliebe, die immer alles verstand. Schicksal!

Im Vergleich zu den tatsächlich sehr harten und schmerzhaften Erlebnissen der Ahnen wirkt ihr eigenes Dasein seltsam unbedeutend, dabei geht es dem Buch doch darum zu zeigen, wie diese Vorgeschichten nachwirken und die Nachgeborenen prägen, ohne dass die darum wissen. Vielleicht lag mein Unbehagen aber auch daran, dass ich mit dem Ton der Sprache nicht klarkam. Eine einheitliche Melodie lag über allem, die für mich die Brüche glättete und der vermeintlichen Schönheit den Vorrang vor der Wahrhaftigkeit verlieh. Sorry. Nix für mich.

Wie kam ich dazu?
»Suna« wurde in gleich drei Alphablogs sehr dringend empfohlen: von Maximilan Buddenbohm, Isabel Bogdan und der Kaltmamsell. Ziefle ist auch eine bekannte Bloggerin. Wie Buddenbohm finden konnte, es sei kein ausgewiesenes Frauenbuch, ist mir ein Rätsel.

17
Mrz
2012

Bücherliste 2012 // IV

Steven D. Levitt and Stephen J. Dubner, »Freakonomics«, Penguin Books
Starke Thesen als Antworten auf Fragen, die sich nur in den USA stellen. Keine Zahlen, keine Methodologie, unangenehm aufgeregter Journalismus, fad und völlig egal.

Jennifer Egan, »A Visit from the Goon Squad«, Corsair
Hat mich sofort gepackt mit starken Gefühlen, gut gehörter Sprache (obwohl - ist das nicht kunstgewerblich?), dem Mythos von New York. Nur der Schluss, in dem ein Babyboom behauptet wird, dem sich die Musikproduktion unterordnet, überzeugte mich nicht: Ich erwarte eher eine weitere Vergreisung. Trotzdem ein fantastisches Buch, verdienterweise ausgezeichnet mit dem Pulitzer-Preis 2011.

Sándor Márai (Christina Viragh), »Die Glut«, Piper
Nachgeholte Lektüre eines Klassikers. Einen Abend allein daheim, in der gleißenden Sonne des Schönbrunner Mittags, ein Nachmittag auf dem Sofa. Man wird ganz irre beim Lesen über Sehnsucht, Freundschaft, Liebe, Verrat, Alter und Schmerz. Kaum konnte ich an mich halten und verhindern, den H. zu Liebesschwüren zu nötigen. Es blieb das Gefühl, gereinigt worden zu sein und wieder mehr empfinden zu wollen.
P.S. Die Übersetzerin hat gerade den Preis der Leipziger Buchmesse 2012 für ihre Übertragung von Péter Nádas' »Parallelgeschichten« abgestaubt.

22
Feb
2012

Bücherliste 2012 // III

Ulli Lust, »Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens«, Avant-Verlag
Eine fette Graphic Novel der aus Niederösterreich stammenden Berliner Zeichnerin Ulli Lust. Sie ist als Teenie-Punk mit einer Freundin nach Italien getrampt und hat dort einen Haufen Scheiße mit Männern erlebt, aber auch viel gelernt und viel verstanden. Super erzählt, super gezeichnet, on the long run vielleicht ein bisschen vorhersehbar (lauter Typen, die f*cken wollen und das Nein einer Punkerin nicht akzeptieren), aber das ist wohl genau eines der zentralen Themen.

Obwohl - oder: weil – ich nie einen richtigen Draht zu Punks hatte und ich deshalb die selbstverständliche Dringlichkeit, mit der sich Ulli ihnen anschließt, nicht verstehen konnte, hat mich das Buch an meine Zeit frisch in Wien erinnert. Damals war es für mich ebenso selbstverständlich und dringlich, den Kontakt zur Frauen- und Lesbenszene zu suchen. Die schelen Blicke und das ewige »Ein Festl ohne Männer ist doch fad« habe ich zwar bemerkt, aber sie hatten keine Bedeutung. Es musste sein, es war das Natürlichste und Normalste der Welt.

Wie kam ich dazu?
Vor einem Jahr oder mehr habe ich in einer deutschen Zeitung – leider weiß ich nicht mehr, in welcher, eventuell in der FAZ – eine euphorische Besprechung gelesen, die mir in lebhafter Erinnerung geblieben ist. Gekauft habe ich das Buch dann letzten Samstag, als ich mit meiner Freundin E. die neue feministische Buchhandlung »ChickLit« im ehemaligen Vereinslokal der AUF ausprobiert habe.

21
Feb
2012

Bücherliste 2012 // II

Edmund de Waal (Brigitte Hilzensauer), »Der Hase mit den Bernsteinaugen«, Zsolnay 2011
Sehr bewegendes Buch über die Familiengeschichte des Autors, erzählt anhand einer Sammlung von 264 japanischen Miniaturkunstwerken. Viel zu schnell vorbei. Kleistert die Lücken, die in der Recherche auftauchen, nicht mit »Literatur« zu.

Wie kam ich dazu?
Die winzige Buchhandlung in meinem neuen Grätzl hatte es auf dem einzigen Präsentationstisch liegen, der im Verkaufsraum Platz findet. Die euphorischen Rezensionsnotizen am Cover und die Empfehlung des Buchhändlers ließen mich zugreifen. Außerdem die Tatsache, dass es eins der wenigen Hardcover im Laden war – ich möchte nur wenn unbedingt nötig Taschenbücher kaufen. An denen verdient ja wirklich niemand was.

20
Feb
2012

Bücherliste 2012 // I

D. H. Lawrence, »Lady Chatterley's Lover«, Ausgabe nach der Originalversion von 1928
Don't get me started. Einer der seltenen Fälle, in denen die Verfilmung – jede Verfilmung – mit Sicherheit besser ist als das Buch. Und das sage ich, ohne einen Film gesehen zu haben. Zu Beginn ein paarmal wahrhaftiges Gefühl, bald aber nur mehr papieren, weinerlich und ideologisch. Ein paar »Stellen« machen Spaß, aber das ändert nichts daran, dass dieses Buch eine Qual ist. Nur aus Pflichtbewusstsein fertiggelesen.

Wie kam ich dazu?
Ich traf eine Kollegin in der U-Bahn, die hatte ihre Nase grad darin versteckt. »Könntste ja auchmal ...«, dachte ich dann. Fehler.

Robert Seethaler, »Jetzt wirds ernst«, Kein & Aber
Totale Überraschung und wirklich gelungen, die Coming-of-age-Geschichte des Ich-Erzählers. Eigentlich dachte ich, dass mich heranwachsende Jungs, die zum Theater wollen, nicht interessieren. Aber obwohl manchmal spürbar war, dass einige Abschnitte des Buches aus mehreren unabhängig voneinander geschriebenen Episoden zusammengestrickt wurden, hat »Jetzt wirds ernst« doch einen eigenartigen Sog entwickelt. Unsentimental, zart und fesselnd. Toll.

Wie kam ich dazu?
Der H. ist mit einem Mitarbeiter von Kein & Aber bekannt, der hat uns mal ein Buchpaket geschickt. Aufgeschlagen im Rahmen des Projektes »Weglesen, was da ist« und dann fast schon gegen meinen eigenen Willen nicht weglegen können.
logo

Cavola Rapa

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Der H. ist angekommen
Kaum viereinhalb Monate lebt er jetzt in Österreich,...
Cavola Rapa - 8. Jun, 14:01
Alter ist relativ
Tim Burton, »Dark Shadows« Wenn ein Vampir in den 1960er-Jahren...
Cavola Rapa - 4. Jun, 12:12
Die Seele geht ihren...
Zwei Tage vor dem errechneten Geburtstermin meines...
Cavola Rapa - 2. Jun, 12:49
Bücherliste 2012 // IX
Gustave Flaubert (Maria Dessauer), »Lehrjahre des Gefühls....
Cavola Rapa - 30. Mai, 11:03
Eiserner Vorhang 2012...
»Harry Rowohlt liest und erzählt«, Wiener Konzerthaus Mein...
Cavola Rapa - 22. Mai, 09:27

Links

Suche

 

Status

Online seit 4525 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 8. Jun, 14:01

Credits


Bildkunst
Bücher
Bühne
Heim und Welt
Innenleben
Mishaps
Mitbewohner
Musik
Musings
Silberner Bildschirm
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren