3
Apr
2012

Auf die Ohren 2012 // III

Friulanischer Landeschor, FVG Mitteleuropa Orchestra, Domkantorei Graz, »Johann Sebastian Bach, Johannespassion«, Dom zu Udine

Let's go to church and misbehave! Vor mir saß ein offenbar ganz frisch verliebter Herr mit seiner neuen Dame, und während vorne wunderschön gesungen und gegeigt wurde, wanderte seine Hand immer wieder in ihr Haar, strubbelte darin herum, krallte sich fest, dann wurde wieder eng zusammengerückt und getuschelt, es war zum Durchdrehen und Mäusemelken. Ganz offensichtlich hatte er die ganze Zeit über einen ordentlichen - pardon my french – Ständer. Irgendwann hab ich ihm dann auf die Schulter geklopft (er brauchte eine Weile, um es zu bemerken) und meinen Unmut kundgetan. Viel besser wurde es nicht. Aber die Frau schämte sich und versuchte, ihn ein wenig zurückzuhalten. Gnhnhn.

Nun zur Musik: Dollo! In der Stadt Udine gab es vor Ostern drei kostenlose Bach-Konzerte im Dom, und wir haben das erste, die »Johannespassion«, erwischt. H. braucht ja zu den beiden hohen christlichen Feiertagen seine Dosis Bach, er wird im Vorfeld immer ganz hibbelig, und wir haben uns sehr gefreut, dass uns der Zufall dieses Geschenk gemacht hat. Dafür nimmt man dann auch die Einführung des engagierten jungen Dompropstes und das Gerede des Bischofs in Kauf. Als italienisch-slowenisch-österreichisches Freundschaftsprojekt ist die Konzertreihe ja prinzipiell eine sehr begrüßenswerte Sache.

Best Voice: Der Erzähler. Absolut textklar, sehr emotional, irrwitzige Läufe.
Schönste Momente: Wenig überraschend die Choräle. Ist halt Bach.
Publikumsbesprechung: Viel Getuschel, viel Gezappel, viel Fluchtverhalten. Sowas finde ich ungehörig und schofel, ist wahrscheinlich aber bei kostenlosen Konzerten nicht zu vermeiden. Der verbliebene Großteil der Zuhörer_innen applaudierte aber zum Schluss mit großer Begeisterung.

Bücherliste 2012 // V

Wolfgang Herrndorf, »Sand«, Rowohlt Verlag 2011
Ausgezeichnet mit dem Preis der Leipziger Buchmesse, und zwar, wie ich finde, mehr als verdient. Ich halte mich ja sonst von Krimis, Thrillern und anderem Zeug fern, das mich unnötig aufregt, aber weil Herrndorfs Blog so großartig ist, und wenn er schon mal den Preis gekriegt hat ... Also: Enorm spannend, moralisch irritierend (der hilflose Protagonist, mit dem man mitfühlt, ist »eigentlich« ein Böser), mit cooler Frauenfigur und viel guilty pleasure, wenn Araber wie Europäer als Vollhonks dargestellt werden. Zum Mitdenken, Absaufen, Lachen und Erschrecken. Ganz großes Tennis.

Wie kam ich dazu?
Wie gesagt: Buchmesse, Blog und begeisterte Besprechungen

Pia Ziefle, »Suna«, Ullstein Verlag 2012
Ganz was anderes ist dieser Roman. Die Ich-Erzählerin berichtet ihrer Babytochter in mehreren Nächten die jugoslawisch-türkisch-deutsche Familiengeschichte, ihre eigenen Probleme als Adoptionskind und die Liebesgeschichte mit ihrem Mann inklusive anschließender Familiengründung plus totaler Verhäuslichung.

Besonders mit dem letzten Aspekt hatte ich große Schwierigkeiten. Die Protagonistin war Bühnenautorin in Berlin, und plötzlich zieht sie sich mit Begeisterung aufs Land zurück, zieht Gemüse und ihre Kinder groß. Und keine Ironie, nirgends! Ächz! Sehr kitschig inszeniert auch das Wiederfinden ihres später zu ehelichenden Mannes, der of course Jugendliebe, die immer alles verstand. Schicksal!

Im Vergleich zu den tatsächlich sehr harten und schmerzhaften Erlebnissen der Ahnen wirkt ihr eigenes Dasein seltsam unbedeutend, dabei geht es dem Buch doch darum zu zeigen, wie diese Vorgeschichten nachwirken und die Nachgeborenen prägen, ohne dass die darum wissen. Vielleicht lag mein Unbehagen aber auch daran, dass ich mit dem Ton der Sprache nicht klarkam. Eine einheitliche Melodie lag über allem, die für mich die Brüche glättete und der vermeintlichen Schönheit den Vorrang vor der Wahrhaftigkeit verlieh. Sorry. Nix für mich.

Wie kam ich dazu?
»Suna« wurde in gleich drei Alphablogs sehr dringend empfohlen: von Maximilan Buddenbohm, Isabel Bogdan und der Kaltmamsell. Ziefle ist auch eine bekannte Bloggerin. Wie Buddenbohm finden konnte, es sei kein ausgewiesenes Frauenbuch, ist mir ein Rätsel.
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