Innenleben

2
Jun
2012

Die Seele geht ihren Weg

Zwei Tage vor dem errechneten Geburtstermin meines Kindes arbeitet das Unbewusste fleißig vor sich hin. Mir träumte mittlerweile, ...

> ... ich würde von einem Straßenfertiger überfahren. Ich hatte keine Angst, es tat nicht weh, ich verletzte mich nicht und stand danach wieder auf. Das Bild der Straßenbaumaschine stammt aus Ellas Beschreibung ihrer Geburt auf sowiealsob.blogspot.com, die von einer »Planierraupe« geschrieben hatte.

> ... ich würde beim Entschärfen einer Bombe zerrissen. Auch in dieser Szene empfand ich keine Furcht, keine Schmerzen und kam nicht zu Tode, sondern lebte einfach weiter. Die Vorstellung des »Zerrissenwerdens« stammt aus dem Buch »Die selbstbestimmte Geburt«, das mir meine Hebamme empfohlen hat. Darin schildert eine Geburtshelferin, dass sie eine Frau in den Wehen beruhigen konnte, indem sie sagte: »Ich habe noch nie erlebt, dass eine Frau bei der Geburt explodiert wäre.«

> ... ich müsste ein gigantisch großes Linienflugzeug im Fahrmodus auf eine Autobahn bringen, über die Auffahrt in den fließenden Verkehr einfädeln und dann aus dem Verkehrsstrom heraus in die Luft bringen. Hat, wenn ich mich richtig erinnere, geklappt.

> ... ich müsste eine künstliche Insel auf einem stürmischen Binnensee erreichen, um dort einen Job anzutreten. Schwerer Wellengang machte das Ganze eher anstrengend, aber ich kam noch rechtzeitig drauf, dass ich ohnehin keine neue Arbeit annehmen kann, weil ich ja ein Kind erwarte.

> ... ich müsste im Tiefschnee einen steilen Berg hinunterfahren. Ich kann nicht skifahren, aber es musste sein. Auch hier: Anstrengung, Konzentration, nichts, das man jeden Tag machen würde wollen. Aber keine Angst.

> ... ich müsste in großer Hitze weitwandern, komischerweise hinter berühmten Bloggern, die mich auch gleich abhängten, weil ich hochschwanger bin und kaum mehr Tempo machen kann. Ich versuchte, H. zu erreichen, und wachte auf, als ich mein steinaltes Handy in der Hand hatte.

15
Mai
2012

Schick!

Als ich mein Leiberl lupfe, sagt die Hebamme beim Hausbesuch, ich hätte einen »zarten Bauch«. Auch die Freundinnen staunen, weil ich bis auf die Kugel vorne nicht anders aussehe als früher. Schon wieder einer von den vielen Aspekten dieser Schwangerschaft, auf die ich stolz bin, obwohl ich nichts dafür kann.

14
Mrz
2012

Vorletzte Nacht

Wir waren verheiratet, mein Mann ein starker Mensch mit hochgekrempelten Hemdsärmeln und Hosenträgern, ich im Rock, wir beide auf dem Land, irgendwo im Osten, in Deutschland, in den 30er-, 40er-Jahren. Wir flohen. Zu Fuß durch den Wald, unser Ziel irgendeine ferne Grenze im Westen, es war Krieg, das weiß ich noch, wir waren Verräter und mussten untertauchen, es gab kein Zurück.

In einem Korb die kleinsten zwei unserer Kinder, schlafend aneinandergekuschelt, die trug ich. In einem anderen Korb ein größeres Kind allein, das trug der Mann. Und plötzlich wurde mir klar, dass wir unseren Ältesten zurückließen. Ob er fünf war oder acht – ich weiß es nicht. Er war nicht da, er würde das Haus leer vorfinden bei seiner Rückkehr, nie wissen, wo seine Eltern sind, warum sie ihn alleingelassen haben, ob sie zurückkommen würden. Er würde Fremde um Hilfe und Versorgung bitten müssen, er würde Angst haben und verzweifelt sein. »Es muss sein«, sagte mein Mann. »Es geht nicht anders.«

Im Traum braucht es keine besseren Argumente. Wir gingen los, über Felder, an einem See vorbei, in den Wald. Aber in meiner Brust und in meinem Kopf entstand ein Schmerz, wie ich ihn noch nie empfunden habe. Es wurde unmöglich weiterzugehen, ich wollte mir den Brustkorb zerreißen, den Kopf einschlagen, ich werde wahnsinnig, es ist nicht auszuhalten, ich kann nicht weiterleben, wenn ich dieses Kind zurücklasse. Ich brach in die Knie und wachte fast schreiend auf, rettete mich ins Schluchzen und kam lang nicht zur Ruhe, auch nachdem ich mich in meinem Bett neben dem H. wiedergefunden hatte.

Es ist wohl eine große Sache, auf die meine Psyche sich vorbereitet. Eine Liebe aus meinem Fleisch.
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Cavola Rapa

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