12
Mrz
2012

Eiserner Vorhang 2012 // III

Tennessee Williams, »Endstation Sehnsucht«, Burgtheater Wien
Zuerst fragt man sich ja, warum ein solches Kammerspiel unbedingt im großen Haus und nicht etwa im Akademietheater gezeigt werden kann. Vermutlich wollte man seine Stars Dörte Lyssewski (Blanche) und Nicholas Ofczarek (Stanley) nicht brüskieren, oder man erwartete einen ganz enormen Publikumsandrang. Wir fanden Plätze im Mittelrang und hatten besonders in der ersten Hälfte des Abends damit zu kämpfen, dass das Geschehen sehr weit weg stattfand. Dazu kamen die längliche Einführung der Figuren im Stück, das anstrengend anzusehende Herumstaken auf ständig nackten Beinen von Blanche und ihrer Schwester Stella (Katharina Lorenz) und Ofczareks doch recht deutliche Vorliebe für sein Standbein (links). Kurz: In der Pause überlegte ich, ob ich gehen will. Andere taten es einfach.

Gut, dass ich geblieben bin. Der Mittelrang heizte sich zwar so weit auf, dass mir trotz kurzer Ärmel der Schweiß auf der Oberlippe stand und ich am Ende nach nur etwas Applaus meinen Kreislauf retten und flüchten musste. Bis dahin hatte es mich jedoch längst gepackt und die große Bühne ihre Wirkung gezeigt. Durch die Distanz und die sparsame Ausstattung wurden mir die klischeehafte Hitze und Enge des Stücks vorenthalten. Gerade deshalb fielen die Sätze umso schwerer ins Gewicht und mir ins Herz: Irgendwann hat man einfach nur mehr Angst, wenn Blanche den Mund aufmacht, weil sie jedesmal gleichzeitig so zerbrechlich, so egoistisch, so traurig und so empörend unhöflich ist, dass es einen schier zerreißt.

Lyssewksis Stimme hat beeindruckend viele Register, von der tief tönenden Bruststimme bis zum hysterischen Kopfgegickse. Ihr dünner Körper ist durchtrainiert bis zur (in meinen Augen) Sterilität. Vielleicht kippte das Stück auch deshalb für mich in das verschlüsselte Drama eines Cross-Dressers: Da ist Blanches Liebe zu einem jungen Mann, der sich als schwul herausstellt und sich das Leben nimmt. Sie verliert später ihren Job als Lehrerin, nachdem sie sich mit einem minderjährigen Schüler eingelassen hat. Da ist ihr Plädoyer für den schönen Schein, den Glanz, die glückliche Lüge anstelle der bitteren Realität. Flitter und Tand, Puder und leere Parfümflaschen, ihr Leben im Hotel, ihre Affären, mit denen sie ihren Ruf ruiniert – es wird alles im Stück mit dem Verlust des elterlichen Gutes erklärt, aber vor der Folie der Homophobie wirkt das nur aufgesetzt, so als hätte die wahre Geschichte nicht erzählt werden dürfen.

Als Blanches Verehrer Mitch (Dietmar König) ihr schließlich die nackte Glühbirne ins Gesicht hält, entdeckt er ihre Falten, ihr wahres Alter, und wendet sich entsetzt von ihr ab. Ich denke, es war ein Bartschatten, den er gesehen hat.
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